Marry me stranger
Sind wir nun doch endlich froh, diese hundert Jahre
moderne Kunst hinter uns gelassen zu haben, in der die Frage, ist das
figurative oder abstrakte Kunst, ist das Shit oder das "feinste vom
Feinen" jedes Gespräch ob am Küchentisch beim dritten Toast
mit Erdbeermarmelade oder nach 2 Nächten MTV mit Dosenbier beherrscht
hat. Oder gab es noch ein paar andere Fragen. Ich erinnere mich gerne
im Dunkeln.
Do you too dream of caravans in endless deserts
and of concrete canyons in big cities seething with life?
Wir waren auf dem Weg in den hübschen Alltag,
der Blick auf den Vorgarten, die Waschbetonhäuschen, die die separaten
Mülltonnen verstecken vor unseren Nachbarn, die wir uns nicht selbst
ausgesucht haben, vor uns selbst, die wir auch nicht freiwillig auf diesem
Planeten siedeln und vor allen den Katzen, die dann wirklich keine Chance
mehr auf unkompostierbare Küchenabfälle haben sollten.
Wir wollten das Einfache und viel mehr weniger
das Komplizierte
Uns beherrschen lassen von der Frage
Wer trägt den Müll runter
Wenn in den Armen des Himmels nur noch Kondensstreifen die
Zeichnungen locker zurücklassen
Die wir immer malen wollten.
Wo liegt die Grenze bei soviel "Erfolgswertgleichheit"
bei soviel "silent Hektik", die in unseren stillen Studios weitab
von Chlichy, Montparnasse oder Brooklyn herrscht.
Das Telefon klingelt - keiner geht ran - denn alle sind da - das automatische
Band schaltet sich ein - es ist Zeus - er sucht Europa.
Ultamarine beyond the Cinderella evergreen.
Früher war die Welt eine Scheibe, der Vatikan
hatte die Drehung der Orbitale im Griff. Die Schlagzahl bestimmten die
Geleerenaufseher mit der Peitsche, und hinter den Schilden der Wikingerboote
herrschte das pure Entsetzen. Handelt es sich nicht um Scheiben, um runde
Weltentwürfe, rund wie Tondi, die die Familienpizzatradition schon
in der Urform verweigern: A slice of perception. Sie sind dünn.
Es sind elf. Es fehlt immer einer oder er wird zum Nicht-Fertig-Sein verurteilt.
Der zwölfte würde den dreizehnten verraten. Sie sind bunt und
sie zeigen, was Raffael oder Leta schon einmal gemalt haben.
Diesmal im Ausschnitt im Totalsegment eines Bullauges, das ins Innnere
des Walfischs schaut. Die Welt aussen. Das Individuum geht sich vor lauter
Verstellung verloren. Niemand will glauben, dass es zwischen ich und ich
keinen Unterschied gibt. Die Dinge, die uns nun wirklich nicht gefallen,
was wir jedenfalls behaupten glauben zu müssen. Unausweichliche Dinge
wie der Tod oder die nächste Miete sind doch immer um uns und also
wir mittendrin. Also sind wir es doch selbst, die unseren eigenen ethischen
Ansprüchen nicht genügen - nicht immer. All apologies na gut.
Wir freuen uns, dass wir vielleicht im scheinbar sozial abgesicherten
Mitteleuropa inmitten ziemlich hoher Berge leben - mit viel zu viel Information.
Aber wir kennen alle Information schon. Wir kannten die Welt noch nie
anders. Wir wünschen es so und diese Wünsche malen hiesse sie
verraten. Desshalb muss es sein.
Wir haben sie endlich an der Wand. Leta hat sie
gemalt - für uns alle. Ausgefeilte Bubbles mit artificial intelligence,
angereicherte Teile eines endlosen JOJO-Domino-Konglomerats. Die Träume
der Visagisten. Rote Kontaktlinsen, vergessene lipstick traces. Eine Verschwörung
aus Pose und Position. Einer Zuflucht, die nur weil sie auf einem Moment
beruht, zeitlos und wahr erscheint. Das Leben zu einem Moment Künstlichkeit
destilliert, eingefroren für den Bruchteil von Wissen.
Oh, Alter - oh, Jugend - oh, Zeiten.
You know pretty well.
"Sie gaben ihr die Sonnenbrille zurück
und forderten sie erneut auf, ihre linke Hand hinter dem Rücken soweit
an der Wirbelsäule nach oben zu schieben, bis man die Knochen zwischen
Hals und Schulter deutlicher sehen konnte. Sie wollten das Schlüsselbein
"Clavicula" sehen. Lasziv und ohne Einschränkung einen
Knochen aus dem U-Boot Ausschnitt eines einfachen aber teuren Mohairpullovers
blitzen lassen, soviel blitzen, dass sogar die echt marrokanischen Ohrringe
aus einem Vorort von Marseille die ganze Schwüle transsaharischer
Sanddünden aufscheinen lassen konnten. Der Wind wurde durch ein Notstromaggregat
erzeugt, alles war echt."
Es ist unsere Zeit, die uns wenigsten noch die Freiheit
vorgaukelt, dass es unheimlich wichtig ist, Beruf und Freizeit zu trennen
und trotzdem stets für den Dialog von beiden bereit zu sein. Es soll
sogar vorkommen, dass die Distanz zwischen Werk und Künstler in glücklichen
Momenten von einer Authentizität verwischt wird, die uns schaudern
lässt.
Wir sind nicht vollkommen - aber nicht vollkommen
hilflos
Fill me up with your wonder - give me my rapture today.
Auch den Sockel des Garagenputzes hatten wir neu zu streichen,
den Teil der auf der Grenzseite des Garagendaches zu unserem Nachbarn
hin liegt. Den Putz auf der anderen Seite brauchten wir schon mangels
Verfärbungen, Flecken und kleineren Schäden nicht zu streichen,
weil das nur wir sahen und unsere Nachbarn also nicht störte. Es
war diese grosse Unruhe, ob wir den richtigen Farbton getroffen hatten,
die uns in Bewegung versetzte und den Atem schneller werden liess.
Auch bis zur vorgerückten Dämmerung waren wir
noch nicht zufrieden. Wir waren Maler. Es schwirrten uns mit Hilfe von
Orangenterpentin und anderer feiner Lösungsmittel die wir aus konservatorischen
Gründen zweifellos anwenden mussten einige wirklich wichtige Entscheidungen
durch den Kopf und nicht die leichteste Frage davon war: are we going
to bed ore back to bad painting
Leta hat sich entschieden.*
**Nike von Samothrake hat keinen Kopf mehr. (Das hat sie davon).
Axel Heil, Deutschland
Katalogtext aus Leta Peer, Tondo, Herausgeber Axel Heil, Karlsruhe
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